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Freitag, 23. September 2011

Wohin im Alter? Sterben die alten Ortskerne aus?

Vorab - der Verfasser dieser Zeilen hat noch lebende, ältere Verwandte im Warburger Land. Er selbst ist noch relativ jung. Das Thema ist für ihn noch nicht akut. Es beschäftigt ihn zur Zeit nicht persönlich, aber durch Gespräche mit Betroffenen und durch eigene Beobachtungen ist er darauf gestoßen.

Bis heute findet man im Warburger Land in Westfalen noch traditionelle Dreigenerationenfamilien unter einem Dach - und gar nicht so selten. Wie in anderen ländlichen Regionen Europas gab es bislang auch hier meist kinderreiche Familien vor Ort. Früher mussten einige Kinder aus beruflichen Gründen oder durch Heirat wegziehen. Mindestens ein Kind blieb vor Ort im Elternhaus wohnen. Ein zweites Kind hat vielleicht noch eine Arbeit im Ort gefunden. Oder es ist in die nächste Großstadt gependelt und hat entweder im Heimatort gebaut oder das Haus von kinderlosen Verwandten geerbt. Die Bindung zu den anderen Kindern ist meist noch stark. Diese kommen regelmäßig zurück, um ihre Eltern, Verwandten und Freunde zu besuchen.

Nun hat der Wandel in der westlichen Gesellschaft auch vor dem Warburger Raum nicht Halt gemacht. Die Familien sind kleiner geworden, d.h., es gibt im Durchschnitt viel weniger Kinder als früher, aber im Durchschnitt immer noch leicht mehr als in den Großstädten. Außerdem existieren seit den 1960/70-er Jahren keine Hebammen mehr auf den Dörfern und die Abteilung Geburtshilfe im Warburger Krankenhaus ist seit einigen Jahren aufgelöst worden. Schwangere werden in anderen Krankenhäusern wie im benachbarten Volkmarsen (im hessischen Bundesland) oder in Paderborn entbunden.

Die Kinder besuchen heute in der Regel höhere Schulen und streben vermehrt eine höhere Ausbildung als die Eltern an. Im Jahre 1959 hatte das Marianum, damals das einzige Gymnasium vor Ort 50 Abiturienten - heute gibt es zwei Gymnasien in Warburg, mit 177 Abiturienten (2009). Absolventen mit Fachhochschulreife sind noch extra zu betrachten. Der Anteil der Schüler in Warburg an der Bevölkerung beträgt fast 18 % und von denen gehen über 40% an Gymnasien. Die beiden Gymnasien allein haben etwa 1750 Schülern und 120 Gymnasiallehrern. Diese Zahlen sind für eine ländliche Stadt beachtlich. Die Weiterbildung nach dem Gymnasium findet meist auswärts statt, in verschiedenen Universitätsstädten bzw. in größeren Ballungsräumen. Zwar hat die Stadt Paderborn einen Bevölkerungszuwachs, meist durch Studenten, welche meist aus dem Umland kommen. Aber diese Universität bietet manche Fächer wie Medizin, Jura oder die seltener frequentierte Fächer wie Archäologie gar nicht an, so dass die Studenten dieser Studienfächer aus der Region weiter ziehen und meist deutschlandweit verstreut sind. Für die andere nahegelegene Universität Kassel gilt ähnliches. Neue Technologieunternehmen im Bereich Informations-, Bio- und Nanotechnologie findet man selten in der Region. Das Unternehmen Nixdorf war da eine große Ausnahme.

Die Chancen für Uni-Absolventen aus dem Warburger Raum, nach der Weiterbildung wieder in die Region zurückzukommen, sind meist gering. Die gut ausgebildete, heutige Generation findet meist in den dynamischen Wirtschaftszentren ihre ersten Arbeitsplätze. In der Regel bleibt sie auch dort. Heute arbeiten meistens auch die Frauen, weil die Frau ein Recht auf berufliche Selbstverwirklichung hat und dies auch wahrnimmt. Aber auch, weil das Einkommen für beide nicht reicht. Das Haus ist deshalb tagsüber meist unbewohnt und außer den Eltern im Ruhestand ist niemand im Haus. Die Kinder werden seit einiger Zeit ganztags in der Schule betreut mit einem Mittagessen. Und wenn sie nach der Schule frei haben, dann besuchen sie meist Sportvereine, Musikschulen und sonstiges. Die Betreuung der Kinder durch dieses erweiterte Angebotsprogramm, beispielsweise durch Fahrten von zuhause zu den Freizeiteinrichtungen, hat sich auch für die Eltern erhöht.

Was bedeuten nun weniger Kinder, höhere Ausbildung meist auswärts, Beschäftigung beider Ehepartner und erhöhte Kinderbetreuung für das Leben der Großeltern in unserer Region? Es gibt nicht mehr den Kinderüberschuss wie früher. Die Chance, dass ein Kind zuhause bleibt, wird geringer. Da beide Ehepartner arbeiten, muss die Pflege der Großeltern oft durch Dritte besorgt werden. Nun kommen wir zum eigentlichen Thema: Was soll man machen, wenn man alt und krank ist und nicht mehr selbständig in seinem Haus wohnen kann? Es gibt mehrere Möglichkeiten: entweder in ein Seniorenheim oder zu einem der Kinder ziehen und/oder dort in ein Seniorenheim, in ein Haus mit betreutem Wohnen oder Mehrgenerationenhaus, in einer Demenz-WG in der Nähe der Kinder ziehen. Dies bedeutet, dass die Häuser der Großeltern und Vorfahren aufgegeben werden und leer stehen, dass die alten Menschen aus ihrer vertrauten Umgebung herausgerissen werden. Meist haben sie in ihrer neuen Umgebung keine ausfüllenden Aufgaben mehr. Sie kennen dort keine Nachbarn und Bekannte. Ihre alten Bekannten, Freunde und Verwandten müssen, wenn sie überhaupt noch mobil sind, diese Reisen sind meist mit Umständen verbunden, besuchen. Sie fehlen aber auch im Ort selbst, als Teilnehmer bei gesellschaftlichen Treffen, als Besucher beim Schützenfest, als Kunden in den Läden oder als als Kirchgänger. Die älteren Generation, die zu den Kindern ziehen werden, verlieren ihre vertraute Umgebung.

Eine weitere Möglichkeit, für alte und kranke Großeltern zu sorgen, ist eine Pflegeperson einzustellen. Zur Zeit wird Pflegepersonal aus dem östlichen Europa gerne für die Betreuung der Pflegebedürftigen rekrutiert. Die Angehörigen müssen dabei in die eigene Tasche greifen. Die Pflegeversicherung finanziert nur einen Teil der Kosten. Daneben gibt es mobile Pflegedienste und Sozialstationen. Die Zahl dieser Dienste im Warburger Land ist schon beachtlich. Im Ortsteil Welda, mit rund 850 Einwohner werden ambulante Patienten jeden Tag von fast einem Dutzend mobiler Pflegedienste angefahren. Es gibt hier - wie andernorts auch - viel Konkurrenz. Dies nennt man freien Markt. Aber die Frage darf erlaubt sein, ob diese Vielfalt effizient und kostensparend ist?

Welche Lösungen gibt es nun vor Ort für die oben genannten Probleme? Man kann einige Lösungswege aufzeigen. Dies ist eher eine Frage der Ideenfindung und der zur Verfügung stehenden Mittel. Die Umsetzung der Lösung hängt von der Akzeptanz der Lösungswege ab. Diese kann in jedem Ort und in jeder Region anders ausfallen. Es gilt sowohl für den Mikrobereich (Familie, Nachbarschaft, Ortsgemeinschaft) als auch für den Makrobereich (Regierungsbezirk, Bundesland, Deutschland, Europa) Lösungen zu suchen und finden. Dies hängt davon ab, welche Personen Interesse an der welcher Lösung haben und wer die Nutznießer und Verlierer sind. Gerne ist die Politik gefragt, aber auch die regionalen Verantwortlichen und die ganze Gesellschaft stehen zuerst in der Verantwortung. Auf Bundesebene ist das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bzw. auf Landesebene das Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter (man achte auf die Themenreihenfolge) in den jeweiligen Regierungen sind zuständig. In der Gerontologie und Altenpolitik wird zwar viel geforscht, aber den Erhalt der ländlichen Struktur wird dabei nicht gedacht.
In den Städten wird das Mehrgenerationenhaus beworben. Mittlerweile sollen über 500 Mehrgenerationenhäuser in Deutschland existieren. Darin sollen drei Generationen - meist nicht aus einer Familie - in einer Mehrgenerationen-Patchwork-Familie zusammenwohnen. Es fehlen Langzeiterfahrungen für diesen relativ neuen Ansatz. In einem kleinen Ort, wo jeder jeden kennt, wo die Beziehungen unter den Familien länger in Erinnerungen bleiben, kommt bei einer solchen Lösung kommt zunächst Skepsis auf. Der Vorteil in einem kleinen Ort ist: Man kennt sich besser als im städtischen Bereich - aber dies kann auch ein Nachteil sein.

Fazit: Die ländlichen Räume waren bislang das Reservoir, aus dem nicht nur
landwirtschaftliche Produkte, sondern auch die jungen Arbeitnehmer in die Städte und
Ballungsräume kamen. Aufgrund der auch dort kleiner werdenden Familien und dem Streben nach höherer Ausbildung ist die statistische Wahrscheinlichkeit d.h. die Chance, dass die alle Kinder wegziehen höher als früher. Somit entsteht die Frage der Betreuung der zurückbleibenden Eltern. Manche von ihnen liebäugeln damit, in die Nähe ihrer in der Fremde wohnenden Kinder zu ziehen. Somit werden die ländlichen Ortschaften noch mehr Bewohner verlieren, als ohnehin durch die demographische Entwicklung.
Man wird wahrscheinlich vergeblich warten, bis die Regierungen in Berlin, Düsseldorf bzw. Detmold etwas unternehmen und Lösungen erarbeiten. Die Chance, dass sich diese Verantwortlichen um die Probleme vor Ort kümmern, ist fast Null. Man schaue sich zum Vergleich nur die Landes- und Bundespolitik in den neuen Bundesländern an. Dort ziehen noch mehr als im Westen die Jungen weg und die Älteren bleiben allein im Ort zurück. Die Leute auf dem Land haben keine Lobby und meist sind die kommunalen Kassen, mit denen man Initiativen finanzieren könnte, leer. Was bleibt ist die lokale und regionale eigenverantwortliche Selbstorganisation.

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