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Mittwoch, 20. Juni 2012

,,Das wirkt eher kleinlich und provinziell'''

Bislang wurde mir dieser Ausspruch im Gespräch noch nicht entgegnet, aber wenn ich ihn in Internet-Foren-Beiträgen lese, dann frage ich mich was damit gemeint ist. Zunächst sei die Frage erlaubt, wie man sich die Benutzer dieses Ausspruchs vorstellen kann? Wahrscheinlich gehören sie zu den oberen 10000 der Gesellschaft, Geld- und Existenznöte gab es in deren Leben nicht. Wahrscheinlich sind sie auch international viel unterwegs. Sie gehören quasi zum Jet-Set, heute New York, morgen Dubai und übermorgen Jerusalem oder Paris und Berlin. Man ist halt Kosmopolit oder hält sich dafür. Lumpen läßt man sich nicht, mit den Kleinigkeiten des Lebens gibt man sich nicht ab, ansonsten ist ja alles schrecklich provinziell. Vielleicht kann die Benutzer dieses Ausspruchs vielleicht auch als Verbal-Junker bezeichnen. Der Regisseur und Drehbuchautor Helmut Dietl hat mal in einem Spiegel-Interview im Jahre 1987 eine (geistreiche) Bemerkung gebracht:

,,Es hat mit der Provinzialität zu tun. Mit dieser unglaublichen Provinzialität, die sich also immer mehr, je mehr man in Deutschland eigentlich das Ausland kopiert, einschleicht.''

Bravo Dietl! - er dreht den Spieß um: Dietl will hier diejenigen, die sich in der Nachahmung der Amerikaner selbst genügen und die "deutsch" Gebliebenen als provinzlerisch abzuwerten pflegen, selbst als engstirnige Provinzler verstanden wissen. Für Dietl sind die kritiklosen "Kopierer" also selbst borniert.
Wer dagegen das Provinzialismus-Klischee im landläufigen Sinne verwendet,
versteht dies als Totschlag-Argument und möchte damit eine unliebsame Diskussion abwürgen. Das dadurch beleidigte Gegenüber reagiert in der Regel mit Schweigen. Der Provinzler-Vorwurf stellt nämlich eine handfeste Diskriminierung dar. Denn die Adjektive ''provinziell und kleinlich'' werden abwertend gebraucht. Diejenigen, die von ihren Händen Arbeit und im harten Wettbewerb noch nie ihr tägliches Einkommen bestreiten mussten, können anderen vorschnell und vorlaut vorwerfen kleinlich zu sein, da sie die Lebensbedingungen der kleinen Leute nicht kennen. Wieso wird überhaupt die Provinz abgewertet? Wenn man in Ballungsräume kommt und sie mit dem ländlichen Raum vergleicht, dann fragt man sich welche langweiliger und uninteressanter ist. Wenn gewisse Leute, wie diese Verbal-Junker, die Qualitäten der Provinz nicht erkennen, nicht wertschätzen und mit ihnen nichts anfangen können, dann sollen lieber nichts sagen anstatt billige Kopien von anderer Lebensstile zu imitieren und großspurig aufzutragen. Denn eine Kopie, auch wenn sie international sein soll, kann man eher erkennen und sie wird meist billiger bewertet als ein regionales Original.

Samstag, 2. Juni 2012

100 Tage documenta 13 in Kassel

Ab Samstag, den 9. Juni 2012 wird Kassel für 100 Tage wieder der Ort der zeitgenössischen Kunst aus aller Welt sein. Kassel ein Ort in der Mitte Deutschlands wird sowohl durch die 150 Künstler aus 55 Ländern als auch durch die Besucher zeitweise international. Was bedeuten diese 100 Tage für Kassel? Zuerst bedeutet es eine lange Vorbereitung und viele Ausgaben, danach eine Attraktion und manche sehen primär die Einnahmen durch Tickets und Übernachtungen und Verpflegungen. Aber das wichtigste ist der Kontakt mit und Inspiration durch die Kunst.
Diese Kunst scheint so manchem Menschen abstrakt. Menschen, die so denken, leben nicht nur auf dem Land sondern auch in den Städten. Es gibt heute viel mehr Installations- und Aktionskünstler als früher. Die Kunst hat sich andere Wege gesucht. Diese Kunst muss vor allem erklärt oder interpretiert werden. Dies mögen die Gründe sein, weshalb sich so manche Betrachter nach klassischer Kunst sehnen, die bekannte Formen verwendet. Die abstrakte Kunst ist eher etwas für zeitgenössische Künstler selbst und für das Fachpublikum. Die Inspirationen und die Anregungen sind aber wichtig, um aus faden, eingetrampelten Pfaden herauszutreten und neue Wege zu gehen. Gerade in der Mitte Deutschland, in der Logistik-Branche auch Mitte D genannt, wo sich Strassen und Bahnstrecken aus allen Himmelrichtungen sich kreuzen sind, ist Kreativität gefragt und wird an der Kunsthochschule und Uni produziert.

Die heutige Kunst nutzt die Provokation, um auf sich aufmerksam zu machen. Dies ist ein Teil des Marketings. Die Übergänge von der Protestkultur zur Kunst sind fließend. Auch die Naturwissenschaften (Anton Zeilinger) sind vertreten, man kann fraktale Bilder, Computerzeichnungen sowie Videoinstallationen sehen. Kunst ist heute vielfältiger und näher. Die Menschen haben nicht immer die Ehrfurcht vor der künstlerischen Leistung, wie in früheren Tagen bzw. wie vor der Kunst der früheren Tage. Die heutige Kunst muss man nicht lieben, wie ein Rembrandt-Bild, heutige Kunst muss man auch nicht ästhetisch finden oder sich mit ihr anfreunden, wie beispielsweise die Gebetsmaschinen von Thomas Bayrle. Manche glauben, dass moderne Kunstwerke eher originell sind und die Kunstfertigkeit nicht mehr gebraucht wird. Installationskünstler wie David Weiss schaff(t)en Installationen, die scheinbar einfach und profan sind. So einfach, dass einige Leute glauben, dies ein jeder machen kann. Aber sie irren, denn die Kreativität und die Umsetzung von Ideen ist nicht jedem gegeben.

Die Kunst lebt nicht von der Provokation, aber die Provokation belebt die Aufmerksamkeit auf die Kunst. Die Kunst lebt von der Kreativität und Umsetzung der kreativen Ideen durch die Künstler. Die Künstler leben materiell von den Einnahmen, Stipendien und ideell von dem Applaus, dem Zuspruch, ihrer zunehmenden Bekanntheit und Anerkennung. Dass die Welt der Künstler nicht notwendigerweise real und bürgerlich ist, zeigt deren divenhaften Verhalten und leider auch als Kehrseite bei weniger erfolgreichen Künstlern, nämlich deren bittere Armut.

Wenn man manche Orte im heutigen Deutschland anschaut, fragt man sich, wo die Kunst in der Neuzeit geblieben ist? Ältere Bauwerke und Straßenzüge werden als ästhetische Kunstwerke geschätzt. Die Neubauten sind eher funktional und schlicht. Vielleicht hilft die Auseinandersetzung mit der Kunst sich mehr darüber Gedanken zu machen. Vielleicht entsteht so der eine oder andere Impuls sich mehr für die Kunst im ländlichen Raum einzusetzen. Kassel wird für 100 Tage ein Zentrum, ja die Hauptstadt, der modernen Kunst sein. Unter den Kreativen ist Kassel und die weitere Umgebung heute schon ein Geheimtipp, wie der neue Wohnort dieses weit gereisten Künstlers und diese Ausstellung vermuten lassen.